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Weidemilch tut Kühen gut. Wer bezahlt?
Handelsketten reagieren auf Druck von NGOs und fordern Weidehaltung. Die fördert die Tiergesundheit der Kühe. Aber wer bezahlt den Bauern die höheren Kosten?
Warburg-Hardehausen. Um ihre Forderungen nach Veränderungen in der Landwirtschaft durchzusetzen, richten sich Organisationen (NGOs) wie Greenpeace immer stärker an die großen Handelsketten wie Rewe, Aldi, Lidl und Edeka. Einblick in diese Strategie gab Martin Hofstetter, Greenpeace-Agrarexperte, auf der Milchtagung von AbL, KLJB und Universität Kassel am Montag in Warburg-Hardehausen: „Der Lebensmitteleinzelhandel ist stark konzentriert in großen Handelsketten, die untereinander in hartem Wettbewerb stehen. Und sie vermarkten auch bei Milch viel über Eigenmarken, für die sie direkt Verantwortung haben.“ Aber nicht nur deshalb seien Handelsketten in den Fokus von NGO-Kampagnen gerückt, sondern auch weil die Berliner Agrarpolitik Veränderungen ewig ausbremse und stets auf den Markt verweise. Den Milchbauern empfahl Hofstetter: „Warten Sie nicht ab, sondern werden Sie zum Mitgestalter. Sprechen Sie mit NGOs. Bringen Sie Ihren Sachverstand lösungsorientiert ein. Und machen Sie Druck auf die Politik, damit die den Rahmen setzt.“
Die Kühe in den Sommermonaten täglich auf der Weide zu halten ist eine zentrale Forderung von NGOs zur Milcherzeugung. Sven Lorenz vom Vorstand der Upländer Bauernmolkerei berichte, dass bei der Molkerei mehrere Handelsketten nach Weidemilch in Bioqualität angefragt hätten. Daraufhin mussten zunächst konkrete Kriterien aufgestellt werden. Anfangs hätten Vorstellungen von 2.000 Quadratmeter reine Weideflächen je Kuh im Raum gestanden. Doch auch für Biobetriebe sei es zum Teil schwierig, genügend stallnahe Weideflächen vorzuweisen. Geeinigt habe man sich daher auf mindestens 1.000 qm Weide und insgesamt mindestens 2.000 qm Grünland je Kuh. Selbstverständlich sei auch der Aufpreis, den die Milchviehalter für die zusätzlichen Weidemilch-Kriterien erhalten müssen, ein Thema der Gespräche mit dem Handel. „Wir brauchen rund fünf Cent mehr je Liter“, berichtete der Biomilchbauer Lorenz. Eine Markteinführung soll noch 2019 erfolgen.
Über einen umfangreichen wissenschaftlichen Vergleich von Weidehaltung und ganzjähriger Stallhaltung berichtete Talea Hannegret Becker vom Grünlandzentrum Niedersachsen. In 15 Doktorarbeiten sind 60 Milchviehbetriebe von 2013 bis 2018 intensiv begleitet und ausgewertet worden. Besonders für das Tierwohl der Kühe ergaben sich im Sommerhalbjahr Vorteile der Weidehaltung, was sich am Gesundheitsstatus u.a. von Klauen, Euter und Pansen gezeigte habe. Im Winter, wenn auch die Weidekühe ganztägig im Stall sind, gliche sich der Status wieder denen der Ganzjahresstallhaltung an. Die Weidehaltung erfordere aber in den Betrieben ein besonderes Management, insbesondere in langen Regenperioden. „Weidebetriebe müssen zwei Systeme beherrschen, Stall und Weide“, fasste Becker zusammen. Betriebswirtschaftliche Auswertungen ergaben bei reiner Stallhaltung höhere Gewinne, aber in Tiefpreisphasen auch höhere Verluste als bei Weidehaltung.
Der Klauenpfleger René Pijl aus Friesland dokumentiert seit 20 Jahren detailliert den Gesundheitszustand der von ihm auf Milchviehbetrieben gepflegten Klauen von Milchkühen. Im Jahr 2000 habe er noch 41 Prozent der Kühe ohne Erkrankungsbefund gehabt, dagegen im Jahr 2016 nur noch bei 21 Prozent. Bei Erstkalbinnen sank der Anteil von 38 auf 12 Prozent. Dabei sei die Situation auf konventionellen und ökologischen Betrieben ähnlich. Bis auf die Klauenrehe (Laminitis) schnitten aber bei allen Klauenerkrankungen Tiere mit Weidehaltung wesentlich besser ab als Tiere in ganzjähriger Stallhaltung. Pijl führte das u.a. auf mehr Bewegung, einen weichen Untergrund und besonders das frische Gras in der Weidehaltung zurück. Der Klauenpfleger mahnte generell dazu, die Kuh „wie Wiederkäuer zu füttern, nicht wie Schweine“. Klauengesundheit hänge auch mit einer gesunden Verdauung zusammen. Eine ausreichende Futterversorgung sei bei Hochleistungen von 12.000 kg im Jahr kaum noch möglich, besonders nach der Abkalbung.
Auf die wirtschaftliche Situation norddeutscher Milchviehbetriebe ging Steffen Rothe, Leiter der Agrarberatung der VR Bank Nord e.G. ein. „Im Durchschnitt haben die Milchviehbetriebe in den letzten Jahren laut Vollkostenrechnung kein Geld verdient, sondern Liquidität verloren“, stellte er fest. Die Tierzahl je Betrieb und die Milchleistung je Kuh seien stark erhöht worden. „Aber die Effizienzsteigerung hat die Kostensteigerung nicht ausgeglichen, und der Erzeugerpreis ist nicht mitgekommen.“ Dass die meisten Betriebe trotzdem weiterwirtschaften, führt der Bankberater darauf zurück, dass viele für Eigenland keine Kosten ansetzten, Familienarbeitskräfte unterdurchschnittlich entlohnten und zunehmend Reserven aufbrauchten. „Nach der dritten Preiskrise ist die Risikotragfähigkeit der Betriebe niedrig“, schloss Rothe. Als Konsequenz biete die VR Bank Nord nun Liquiditätssteuerung über atmende Konten an, um die Zahlungsfähigkeit der Betriebe langfristig zu stärken.
Was aus wirtschaftlichen Krisenzeiten bei der Katholischen Ländlichen Familienberatung ankommt, erläuterten Irmgard Hüppe und Ulrich Oskamp aus dem Bistum Münster. „In den Krisenjahren 2015/2016 und im Dürrejahr 2018 war es bei uns auffallend still. Das hat uns überrauscht. Warum melden die sich nicht?“. In der Krise werde alles daran gesetzt, die Sache irgendwie am Laufen zu halten. Erst verzögert werde dann die Familienberatung angerufen. „Wenn ein Milchbauer anruft, ist erstmal Ruhe. Es dauert lange, um überhaupt das Thema zu benennen und was der wichtigste Punkt ist.“ Als zunehmende Last werde empfunden, dass „jeder selbsternannte Tier- und Naturschützer es besser weiß“. Viele fühlten sich allem und jedem ausgeliefert. „Das geht bis zu Identitätskrise: Wer bin ich noch im Ort?“. Aufgabe der Familienberatung sei nicht wirtschaftliche Beratung, sondern wieder Vertrauen aufzubauen in sich selbst, in die Familie und dass Probleme lösbar sind.
Über neue Regelungen im Düngerecht referierte Dr. Michal Diepolder von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft. Auf Grünland dürfen ab dem Jahr 2025 Gülle und andere flüssige Wirtschaftsdünger nur noch streifenförmig auf den Boden ausgebracht oder direkt in den Boden eingebracht werden. Ziel ist es, die Emission von Ammoniak aus der Düngung um mindestens 40 bis 60 Prozent zu verringern. Für die bodennahe Ausbringung stünden verschiedene Techniken zur Verfügung. Die Landesanstalt habe nun an zwei Standorten umfangreiche Untersuchungen aufgelegt, um die Wirkungen der Techniken bezüglich Emissionsminderung, Veränderungen in Pflanzenbestand und Grasnarbe und Futterqualität zu prüfen. Untersucht werde auch die Frage, in wie weit ausgewählte Gülle-Zusätze die Ammoniakemission reduzieren können.
Zum Abschluss der Milchtagung gab Berit Thomsen, Referentin der AbL für internationale Agrarpolitik, einen Überblick über die geplanten Freihandelsabkommen zwischen der EU und anderen Staaten. Unterstützt von Bundesregierung, Bauernverband und europäischer Milch- und Fleischindustrie habe die EU in den letzten Jahrzehnten eine exportorientierte Agrar- und Handelspolitik verfolgt. Während der eigene Markt möglichst geschützt bleiben sollte, wurden Drittländer zur Öffnung ihrer Märkte für EU-Exporte gedrängt. Nun komme wie ein Bumerang zunehmend von anderen Staaten wie Brasilien, Argentinien, den USA, Neuseeland und Australien die Forderung, dass die EU ihrerseits mehr Agrar-Exporte zollfrei aufnehmen soll. Besonders betroffen sei auch der europäische Milch- und Rindfleischmarkt, zumal die Kosten und auch die Standards in vielen dieser Länder niedriger seien als in der EU. Es drohe nicht nur weiterer Preisdruck, sondern auch ein Schleifen europäischer Standards: „Der Druck auf die EU, Hormonfleisch zu importieren wird erheblich steigen“, mahnte Thomsen. Eine öffentliche Debatte über die Konsequenzen einer exportorientierten EU-Agrarpolitik sei daher notwendig. „Wir wollen internationalen Handel, aber zu fairen Bedingungen und Qualitätsstandards“, so Thomsen.