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„Kirche, Knarre, Konsum“
Zwei Jahre Beobachtungen durch einen „Trumpland“-Bewohner
Schleusingen. „Tatsachen muss man kennen, bevor man sie verdrehen kann“. Mark Twain zitierend und die rhetorische Frage, ob der große US-Literat des 19. Jahrhunderts damit eine Maxime des jetzigen US-Präsidenten Donald Trump vorweg genommen habe, nachschiebend, eröffnete Mathias Günther kürzlich eine Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Schleusinger „Roten Ochsen“, in der Referent Carsten Hübner die innere Verfasstheit der USA beleuchtete. Unter den mehr als 50 Besuchern waren neben der Landtagsabgeordneten Ina Leukefeld auch der Thüringer DGB-Chef Sandro Witt und der IGM-Bevollmächtigte Thomas Steinhäuser. Ihr Interesse galt den Schilderungen des geschäftsführenden Direktors des Transatlantic Labor Institute (TLI). Dieses geht auf eine gemeinsame Initiative der IG Metall und der US-amerikanischen Autoarbeitergewerkschaft UAW zurück und widmet sich der transnationalen gewerkschaftlichen Bildungsarbeit.
Hübner lebt und arbeitet seit mehr als zwei Jahren in der Nähe von Nashville/Tennesse, was ihm offenbar ermöglichte, den nicht für möglich gehaltenen Erfolg des weithin verspotteten Trump zu verstehen. In seinem County (Landkreis) im klassischen Süden der USA, wo die offiziell abgeschaffte Rassentrennung durch ökonomische Nachteile des schwarzen Bevölkerungsteils fortlebt und die bis in die sechziger Jahre noch regierenden Demokraten „Dixiecrats“ heißen, hatten 2016 mehr als 65 Prozent für Trump gestimmt. Beklemmend mutet die Zustandsbeschreibung an: Da existieren in der rund zehntausendköpfigen Gemeinde zwar jede Menge Straßen, aber keine Fußwege. Zwar gibt es insgesamt 35 Kirchen, deren Priester und Prediger meist streng rechten evangelikalen Strömungen anhängen, aber statt christlicher Nächstenliebe und Vergebung werden Sündhaftigkeit und Vergeltung gepredigt, nahe am Hass. Da gibt es jede Menge Supermärkte und Fastfood- Diners, aber keine öffentlichen Gemeinderäume, in welchen Begegnung möglich wäre. Die Arbeitswelt, dominiert von einem Gesetz von 1935, ist gekennzeichnet von „Hire and fire“, dem willkürlichen Anheuern und Feuern. Der durchschnittliche US- Mindestlohn liegt bei rund 6,55 Euro, wird in einzelnen, mehrheitlich von der schwarzen Unterschicht praktizierten Dienstleistungsjobs über Ausnahmeregelungen aber auch deutlich darunter gedrückt. Da jubelt die weiße Mittelschicht einem gegen Zuwanderer hetzenden Präsidenten zu und beschäftigt gleichzeitig illegal mexikanische Angestellte. Hübner zufolge liegt Trumps Erfolgs darin, dass er bewusst mit den Verlustängsten dieser Mittelschicht spielt und an reaktionäre Gefühle appelliert. Während es rund 2 Dritteln der Nordamerikaner gut geht, ist die Angst vor fehlender Absicherung allgegenwärtig. Typisch seien die Versuche, der Arbeit hinterherzuziehen. Alle vier bis fünf Jahre bauen Amerikaner ihr Haus an einem anderen Ort neu auf, immer das Drohbild von verwahrlosten Straßenvierteln vor Augen, in denen die Verlierer eines rigiden Turbokapitalismus mit schwacher öffentlicher Hand anzutreffen sind. Hier dreht sich der eigene Lebensentwurf vorwiegend um „Kirche, Knarre, Konsum“, während die nach deutschen Maßstäben bescheidene Krankenversicherungsinitiative des „Obamacare“ gleichsam als kommunistischer Freiheitskiller bekämpft wird. Vor diesem Hintergrund hatte Trump in seiner Wahlkampagne ganz bewusst das Land gespalten, wo seine Vorgänger noch versucht haben, eine Gesellschaft des Ausgleichs und der Geschlossenheit zu propagieren. Hier trifft die verkündigeung des „Wiedergroßmachens“ auf offenen Ohren. In dieser Stimmung sieht Hübner den deutlich wichtigeren Nährboden für Trumps Wahlsieg, denn in unbestreitbaren russischen beeinflussungsversuchen. Solche habe es zwischen den Großmächten immer gegeben, mit kaum bestimmbarem Erfolg.
Vieles in Trumps skrupellosem, verwerflichen Spiel mit Ängsten, Fakenews und Beleidigungen erinnert an europäische Rechtsextreme wie Orban in Ungarn oder die AfD in Deutschland. Auch wenn sich das linke und liberale Amerika mit teils großen Demonstrationen Luft macht und momentan in Militär und Geheimdienst viele Eliten nicht bereit sind, die irrationalen Alleingänge ihres höchsten Dienstherrn mitzutragen, die Lösung des Problems eines für die Weltpolitik unberechenbaren Präsidenten sieht Hübner auf Dauer bei den Konservativen der Republikaner. Die „Gran`Ol` Party“ sei gefragt, in einem riesigen Land, dessen Bevölkerung traditionell an der Außenpolitik eine wenig Interesse zeigt, einen weiteren Abbau der Rechtsstaatlichkeit zu verhindern. Festlegen wollte sich Hübner auf die Fragen, ob Trump 2020 wieder gewählt würde und ein europäischer Trump passieren könne, nicht. Möglich sei beides aber sehr wohl.
Am Ende seines Vortrages versucht der Referent auch in die Zukunft zu schauen: Könnte Trump im Jahr 2020 tatsächlich die Wiederwahl gelingen? Und ist es völlig undenkbar, dass wir in absehbarer Zeit auch in Deutschland und Europa amerikanische Verhältnisse bekommen?