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Tiefensee: Diesel ist besser als sein Ruf
Branchentag Automotive Thüringen: Wirtschaftsminister für Technologieoffenheit bei neuen Antriebstechnologien / Forderung nach mehr Kooperation der Thüringer Zulieferer
Ilmenau (lr). Vor dem Hintergrund der Abgasmanipulationen großer Automobilhersteller hat Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee davor gewarnt, die Dieseltechnologie zu verteufeln. „Die Manipulationen sind selbstverständlich scharf zu kritisieren, sie müssen zügig und ohne Belastung der Fahrzeughalter abgestellt werden“, sagte der Minister heute beim Branchentag Automotive Thüringen in Ilmenau. „Allerdings müssen wir aufpassen, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten. Die Dieseltechnologie ist besser als ihr derzeitiger Ruf. Sie ist immer noch eine der effizientesten Fahrzeugantriebe überhaupt und wird zumindest als Brückentechnologie auch weiterhin benötigt.“
Dies gelte umso mehr, als viele Probleme älterer Motorengenerationen inzwischen behoben seien, so Tiefensee. „Spätestens mit den neuen Dieselmotoren der Euro6d-temp-Norm sind viele der aktuell diskutierten Herausforderungen technisch gelöst.“ Fahrverbote seien aus seiner Sicht daher nicht notwendig und sollten auch weiterhin vermieden werden. Mit Blick auf Thüringen sagte der Wirtschaftsminister, die Landesregierung gehe davon aus, dass die Grenzwerte für die Stickstoffdioxidbelastung überall eingehalten würden.
Langfristig sei allerdings mit einer Ablösung der bisherigen Verbrennungsmotoren durch alternative Antriebstechnologien zu rechnen, so Tiefensee weiter. Auch wenn der Elektromobilität hier derzeit die größten Potentiale zugesprochen werden, plädiere er in dieser Frage weiter grundsätzlich für Technologieoffenheit: „Der internationale Vergleich zeigt, dass verschiedene Länder ganz unterschiedlich auf die neuen Herausforderungen reagieren.“ So setze China etwa auf Elektroantriebe, Japan und Kalifornien dagegen auf die Wasserstofftechnik. Tiefensee: „Solange die Perspektiven nicht klar sind, sollten die Hersteller für alle Antriebstechnologien grundsätzlich offen bleiben und hier in Forschung und Entwicklung investieren.“
Aber auch über die Frage der Antriebstechnologien hinaus müsse sich die Automobilindustrie in Thüringen auf einen tiefgreifenden Wandel einstellen, sagte der Wirtschaftsminister. „Der Strukturwandel erfasst Technologien, Märkte und Geschäftsmodelle weltweit und wird die Zukunft der Mobilität fundamental verändern. Wenn wir nicht aufpassen, kann das auch für die mittelständische Zulieferbranche im Freistaat negative Konsequenzen haben.“
Schon heute sei klar: „Die Zukunft der Thüringer Automobilbranche kann nur in einer regelmäßigen, projektbezogenen Kooperation liegen. Dafür muss die Branche künftig enger zusammenrücken“, sagte der Wirtschaftsminister weiter. Ziel sei es, aus der Branche heraus eine Reihe von Systemanbietern zu entwickeln, die technologisch komplexe Komponenten anbieten und damit ihre Position in der Wertschöpfungskette „Automobil“ verteidigen und ausbauen könnten.
Das Wirtschaftsministerium unterstützt diesen Prozess beispielsweise durch die Förderung der Verbundforschung oder die Schaffung digitaler Plattformen. Mit dem Thüringer Innovationszentrum Mobilität an der TU Ilmenau stehe der Branche in Thüringen ein fächerübergreifender technologischer Impulsgeber zur Verfügung. Dort hat das Land inzwischen auch eine zusätzliche Honorarprofessur für „Automobilwirtschaft und Automobilproduktion“ geschaffen.
Die Automobilwirtschaft gehört zu den strukturbestimmenden Branchen in Deutschland, aber auch in Thüringen. Etwa 70 Prozent der automobilen Wertschöpfung erfolgen im Zulieferbereich, der in Thüringen besonders ausgeprägt ist. Die Branche umfasst statistisch 51 Unternehmen (> 50 Beschäftigte) mit 16.400 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von knapp fünf Milliarden Euro. Nimmt man Unternehmen anderer Branchen hinzu, die zumindest einen Teil ihrer Umsätze im Automobilbereich erzielen, umfasst die Thüringer Zulieferwirtschaft insgesamt 530 Unternehmen mit 50.000 Beschäftigten und einem Umsatz von knapp neun Milliarden Euro.
Zu den Stärken der Thüringer Branche zählen insbesondere die breite Aufstellung, eine relativ großen Zahl von so genannten „hidden champions“ sowie die hohe Qualifikation der Beschäftigten. Neben neuen Antriebstechnologien müssen die Unternehmen laut einer Expertise der Friedrich-Schiller-Universität Jena aber auch mit dem wachsenden internationalen Konkurrenzdruck, der Abhängigkeit von den großen Automobilkonzernen, der Kleinteiligkeit und – damit einhergehend – der zu geringen Investitions- und Innovationskraft, neuen Entwicklungen wie der Digitalisierung und der steigenden Fachkräftenachfrage fertig werden. „Wir brauchen deshalb eine gemeinsame Kraftanstrengung, um die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen.“