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Sasha Filipenko: Rote Kreuze

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Buchtipp der Stadtbücherei Suhl für den Monat Dezember

Minsk im Jahr 2001.

Der dreißigjährige Alexander hat gerade einen schweren Schicksalsschlag erlitten. Seine Freundin ist bei der Geburt der gemeinsamen Tochter ums Leben gekommen. Nun steht der junge Mann allein mit der Kleinen da. Um etwas Abstand zu gewinnen, zieht er um. An der Tür seiner neuen Mietswohnung findet er ein eingeritztes rotes Kreuz. Alexander ärgert sich über die Sachbeschädigung. Auf dem Hausflur spricht ihn seine neue Nachbarin, die neunzigjährige Tatjana Alexejewna, an und erklärt ihm, dass sie an Demenz leide und sie diejenige ist, die die Türen mit roten Kreuzen kennzeichne. Die Markierungen helfen ihr, den Weg in ihre eigene Wohnung zu finden. Der junge Mann wehrt sich zunächst gegen die Aufdringlichkeit der alten Dame, will er doch erstmal für sich sein. Doch schließlich nimmt er ihre Einladung zum Tee an. Dabei erzählt sie ihm ihre Lebensgeschichte, die ihn von seinem eigenen Leid etwas ablenkt.

Tatjana nimmt den jungen Alexander mit bis ins Kriegsjahr 1941. Sie erzählt, dass ihr Mann an der Front dient und sie selbst arbeitet in dieser Zeit als Fremdsprachenkorrespondentin beim sowjetischen Außenministerium in Moskau. Ihre Aufgabe ist es, Briefe und Dokumente aus dem Ausland zu übersetzen. In der Post sind auch Unterlagen aus Genf vom Internationalen Roten Kreuz. Dies sind Listen mit Namen von sowjetischen Kriegsgefangenen. Das Rote Kreuz versuchte von der Schweiz aus, die Bedingungen für Kriegsgefangene etwas zu erleichtern. Doch die sowjetischen Behörden weisen an, diese Briefe und Telegramme zu ignorieren und keinesfalls zu beantworten. Man muss wissen, dass russische Kriegsgefangene im eigenen Land als Verräter galten und ihnen samt ihrer Familien Konsequenzen drohten, oft jahrelange Haft in den berüchtigten Straflagern.

Eines Tages flattert eine Liste auf Tatjanas Schreibtisch, der die Namen sowjetischer Soldaten in rumänischer Kriegsgefangenschaft enthielt. Ein Name darauf war der ihres eigenen Ehemannes. Einerseits war die junge Frau froh, dass er noch lebte, andererseits wusste sie um das Schicksal, dass ihnen beiden und ihrer Tochter drohte. Tatjana trifft eine folgenschwere Entscheidung. Sie tauscht den Namen ihres Gatten gegen einen anderen, den Vorgänger auf der Liste, aus. Von dem Tag an wartet Tatjana voller Bangen darauf, dass ihre Fälschung entdeckt und sie festgenommen wird. Aber nichts passiert.

Erst kurz nach dem Krieg wird sie zu zehn Jahren Gulag verurteilt. Ihre kleine Tochter wird ihr entrissen, die selbst in einem Lager verschwindet. Einzig der Gedanke an ihr Kind lässt Tatjana die unmenschlichen Zustände überleben. Als die junge Frau schließlich entlassen wird, sucht sie verzweifelt nach ihrem Mädchen. Sie muss erfahren, dass die Kleine bereits ein paar Monate nach der Inhaftierung verhungert ist. Tatjana erfährt auch, dass ihr Mann nicht mehr am Leben ist …

Rote Kreuze ziehen sich wie ein roter Faden durch den Roman von Sasha Filipenko. Das rote Kreuz symbolisiert Tatjanas Weg. Der junge weißrussische Autor und Journalist verknüpft eine fiktive Geschichte mit Originaldokumenten des Roten Kreuzes und transportiert das Geschehen in die Gegenwart. Die Dokumente, die in Moskau liegen, durfte Filipenko nicht einsehen, dort sind sie unter Verschluss. Er reiste zum Recherchieren nach Genf ins Archiv des Roten Kreuzes. Sasha Filipenko hat daraus einen aufwühlenden, sehr bewegenden und erschütternden Roman geschrieben, der ein Stück tragische Zeitgeschichte dokumentiert und der Vergangenheit und dem Vergessen entreißt.

Sasha Filipenko: Rote Kreuze. – Zürich : Diogenes Verlag, 2020.

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