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Fenster in eine vergangene Spielzeugwelt
„Die Sonneberger Spielwarenmusterbücher des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung des Deutschen Spielzeugmuseums“
Sonneberg. In diesen Tagen erscheint eine Veröffentlichung des Deutschen Spielzeugmuseums in Sonneberg. In einem umfangreichen Text-Bild-Band (320 Seiten, 160 Farbabbildungen) wenden sich die Autoren Reinhild und Peter Schneider einer Besonderheit des ältesten deutschen Spielzeugmuseums zu, der Sammlung der Spielwarenmusterbücher.
Musterbücher sind die Vorläufer unserer heutigen Warenkataloge. Im beginnenden Industriezeitalter ersetzten sie die schweren Musterkoffer der Reisenden. In gewissem Umfang versendete man Musterbücher auch an Kunden in weit entfernten, nicht bereisten Ländern. Neben ihrer primären Funktion der indirekten Warenpräsentation kam ihnen eine zweite, weniger offensichtliche Aufgabe zu: Musterbücher übernahmen die Vermittlung des Erscheinungsbildes des werbenden Unternehmens und wurden auf diese Weise über Kontinente hinweg zum Faktor für dessen wirtschaftlichen Erfolg.
Manufakturwaaren-Musterkarte von C.G Müller & Sohn in Sonnenberg bei Coburg.
Die ersten Spielwarenmusterbücher gelangten bald nach der Gründung des 1901 gebildeten Industrie- und Gewerbemuseums des Meininger Oberlandes in dessen Bestand, übergeben von den Familien und Nachkommen Sonneberger Unternehmer im Sinne des Bewahren-Wollens kultureller Werte. In gemalten, lithographierten und photographierten Muster-Abbildungen dokumentieren diese Bände und Musterblätter das Handelsgut der Verleger und Spielwarenproduzenten, detailgenau und in der gesamten Breite der Sortimente. Wie die Weltausstellungsgruppen „Gulliver in Liliput“ und „Thüringer Kirmes“ repräsentieren diese Exemplare die erfolgreichen Werbestrategien der Sonneberger Kaufmannschaft im 19. Jahrhundert.
Das Herzstück des Text-Bild-Bandes ist der Katalog der Spielwarenmusterbücher, der 35 ausgewählte Exemplare beschreibt. Dem Katalog vorangestellt, geben sechs Texte aus verschiedenen Perspektiven Einblicke in die Gegebenheiten des ausgehenden 18. und des 19. Jahrhunderts. Dem Leser bietet sich ein breiter Fundus an Informationen, von den Firmengeschichten der den Weltmarkt erobernden Sonneberger Spielwaren-Verlage bis zu den „Sonneberger Waren“, denen neben Spielwaren auch Gebrauchswaren zugehörten. Die mächtigsten unter den Handelshäusern führten darüber hinaus Waren aus anderen Herstellungsgebieten, vor allem Holzspielwaren aus dem Erzgebirge und Blechspielwaren aus dem Raum Nürnberg/Fürth, die bald um mechanische und optische Spielwaren sowie um Gesellschaftsspiele ergänzt wurden. In den Sonneberger Spielwarenmusterbüchern entdeckt sich daher die gesamte Palette des Spielzeugs des 19. Jahrhunderts und in deren Zentrum das typische Sonneberger Spielzeug: Kinder-Instrumente, militärisches Spielzeug, diverse Kleinspielwaren, Puppenmöbel, Kutschen und Ställe aus Holz. Überaus erfolgreich bot man die heute kaum noch bekannten, mit Figurenwerk bestückten „Klingenden Kistchen“ und Balgspielwaren an. Noch in der ersten Hälfte des Jahrhunderts brachte der formbare Werkstoff Papiermaché eine erstaunliche Vielfalt an Figuren und Tieren hervor. Den Holzgliederpuppen folgten die Puppen „von Leder und Leinwand“ mit Köpfen aus Papiermaché, bald ergänzt um Puppen mit Köpfen aus Porzellan. Von Anfang an bereicherten „Caricaturen“ (Parodien auf bekannte Persönlichkeiten) die Spielwarensortimente. Gegen 1840 kamen „Attrappen“ (Füllartikel) und Masken hinzu. Nach 1850 erlangte der „Täufling“, ein original Sonneberger Artikel, enorme Bedeutung für den Handel der Spielzeugstadt. Gegen 1870 dominierte das naturalistische Spielzeug mit mechanischen und akustischen Effekten die Musterblätter der Buchausgaben, bevor die Puppe ihren Siegeszug antrat. Allein die Musterbücher der Firmen Lindner – Johann Simon Lindner, Louis & Eduard Lindner, Louis Lindner & Söhne und Johann Christoph Lindner – dokumentieren den Wandel und die Beständigkeit der Spielzeugformen von 1829 bis etwa 1885.
Zu den schönsten Spielwarenmusterbüchern gehören neben den repräsentativen Ausgaben der Verlegerfamilie Lindner die perfekt gezeichneten und lithographierten Bände der in Leipzig und Sonneberg ansässigen Firma Strathmann & Joachim. Nicht weniger berührend widerspiegeln die gemütvollen Darstellungen in den Exemplaren der kleineren Sonneberger Firmen das Wesen des Spielzeugs. Nach bisherigen Erkenntnissen galten die 1831 edierten Musterbücher der Firma Johann Simon Lindner als die ältesten Musterbücher der Sammlung. Im Ergebnis der aktuellen Analyse ist ein weiteres Musterbuch in den Kreis der ältesten Ausgaben aufzunehmen – die „Manufakturwaaren-Musterkarte von C. G. Müller & Sohn in Sonnenberg bei Coburg“. Alle im Katalog dokumentierten Ausgaben werden mittels kurzer Begleittexte erläutert. Doch allein die Abbildungen öffnen ein Fenster in die vergangene Spielzeugwelt, in jene Welt der kleinen bunten Dinge, die sich wie ein Spiegelbild zur realen Welt verhält.
Der Band „Die Sonneberger Spielwarenmusterbücher des 19. Jahrhunderts aus der Sammlung des Deutschen Spielzeugmuseums“ ist über das Deutsche Spielzeugmuseum in Sonneberg zu beziehen.