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Tiefensee: Strukturwandel in Automobilbranche wirtschaftlich noch gravierender als Kohleausstieg
Neue Koordinationsstelle „Transformation in der Autoindustrie“ soll Thüringer Zulieferbranche unterstützen / Beteiligung der Bundesländer am nächsten Autogipfel der Bundesregierung gefordert
Erfurt (lr). Thüringens Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee hat Unterstützung des Bundes für den Strukturwandel in der Automobilindustrie angemahnt. Am nächsten Autogipfel der Bundesregierung voraussichtlich im November müssten auch die Bundesländer beteiligt werden, forderte Tiefensee heute am Rande eines Auftaktgesprächs zur Gründung einer „Thüringer Allianz Automobilindustrie“ in Erfurt. „Der Strukturwandel in der Automobilbranche wird heftiger ausfallen als selbst der Kohleausstieg“, sagte Tiefensee. „Und für dessen Bewältigung hat der Bund mit dem Strukturstärkungsgesetz immerhin gerade ein 40-Milliarden-Euro-Hilfspaket geschnürt.“ Nach aktuellen Analysen sind durch den Ausstieg aus der Braunkohle in Deutschland bis 2030 rund 72.000 Jobs gefährdet – durch den Transformationsprozess in der Automobilindustrie stehen im selben Zeitraum bis zu 125.000 Arbeitsplätze auf dem Spiel.
Mit der „Thüringer Allianz Automobilindustrie“ solle ein breites Bündnis aller wichtigen Akteure zur Unterstützung der Branche im Land geschaffen werden, sagte der Minister. Angesichts der Tatsache, dass im wichtigsten Industriezweig des Freistaats mehrere Tausend Arbeitsplätze akut gefährdet und eine Reihe von Firmen in existentielle Schwierigkeiten geraten seien, wolle man sich regelmäßig treffen, um mit konkreten Lösungen und Unterstützungsangeboten zügig auf aktuelle Herausforderungen reagieren zu können. Als erste Maßnahme hat das Wirtschaftsministerium bei der LEG Thüringen eine „Koordinierungsstelle für Fragen der Transformation in der Thüringer Automobilindustrie“ eingerichtet, die heute ihre Arbeit aufgenommen hat. „Die Koordinierungsstelle steht als direkter Ansprechpartner und Kümmerer für die Sorgen und Nöte der Zulieferfirmen in Thüringen zur Verfügung“, sagte Tiefensee. Sie solle aktiv zur Bestandssicherung der Unternehmen beitragen und diese bei der Bewältigung des Strukturwandels unterstützen. Die Koordinierungsstelle ist ab sofort unter der Telefonnummer 0361-5603469 und der Mailadresse zulieferindustrie@leg-thueringen.de zu erreichen.
Nicht alle Probleme der Branche ließen sich allerdings im Land lösen, so der Minister weiter – im Gegenteil: viele Ursachen für die sich anbahnende Zulieferkrise lägen außerhalb der Landesgrenzen. „Der knallharte Verdrängungswettbewerb führt beispielsweise dazu, dass der Technologiewechsel vom Verbrennungs- zum Elektromotor von den großen Herstellern inzwischen genutzt wird, um neue Produktionen gleich an vermeintlich kostengünstigeren Standorten im Ausland aufzubauen.“ Eine ähnliche Tendenz sei auch bei der Beschaffung von Maschinen und Anlagen für die Montagelinien zu beobachten – „langlebige Produkte ‚made in Germany‘ haben es angesichts der Unsicherheit über die künftigen Antriebstechnologien und angesichts immer schnellerer Modellinienwechsel schwer, sich bei Großprojekten noch durchzusetzen.“ Das heißt: „Die Gefahr wächst, dass die neuen Mobilitätstechnologien künftig vor allem außerhalb Deutschlands entwickelt und produziert werden.“ Zwar hatte gerade Thüringen mit der Ansiedlung des Batterizellenherstellers CATL hier zuletzt einen deutlichen Kontrapunkt gesetzt. Dennoch bleibe es dabei: „Wenn wir nicht gegensteuern, geht die Transformation am Ende zu Lasten der deutschen Zulieferer.“ Diese Sorgen waren dem Minister zuletzt auch vom Betriebsrat des Pressenherstellers Schuler in Erfurt gespiegelt worden.
Um solche Entwicklungen zu verhindern, sei eine konzertierte Industriepolitik auf Bundesebene unter Beteiligung der Bundesländer nötig, sagte der Wirtschaftsminister. „Es ist natürlich erfreulich, dass die großen Autoländer Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen bereits mit dem Bund im Gespräch sind – aber auch als kleinere Zulieferstandorte wollen wir nicht einfach draußen auf dem Wartebänkchen sitzen, sondern unsere Ideen und Vorstellungen mit in die Diskussion einbringen“, so Tiefensee. Immerhin sei die Kfz-Branche die umsatzstärkste Industriebranche in Thüringen und damit entscheidend für die wirtschaftliche Zukunft des Bundeslands. Mit einer Beteiligung der „kleineren“ Automobil-Länder wie Hessen, Sachsen und Thüringen wäre auch gesichert, dass konsequent auch die Perspektive der Zulieferfirmen und nicht nur die der großen Automobilkonzerne berücksichtigt würde. Tiefensee: „Gerade die großen OEMs haben in letzter Zeit zu viele Fehler gemacht, die jetzt die kleinen Zulieferfirmen ausbaden müssen. Wir wollen sicherstellen, dass die vielen mittelständischen Unternehmen der Branche in der Debatte um die Zukunft des Automobilstandorts Deutschland eine Stimme haben.“
Der Minister betonte erneut, dass klassische Verbrennungsmotoren in der Automobilindustrie noch bis mindestens Mitte der 2030er Jahre eine Rolle als Übergangstechnologie spielen werden. „Es gibt keinen Diesel-Skandal, sondern einen Betrugsskandal einiger Hersteller“, sagte Tiefensee. Die Dieseltechnologie sei besser als ihr Ruf. „Die Politik muss deshalb an dieser Stelle jetzt auch für Ruhe sorgen und Käufern von neuen Dieselfahrzeugen die Gewissheit geben, dass sie in Zukunft nicht mit immer neuen finanziellen Belastungen oder Fahrverboten konfrontiert werden.“ Diese Übergangsphase könne die Zulieferindustrie nutzen, um auf neue Antriebstechnologien umzustellen oder ganz neue Geschäftsfelder zu erschließen.