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„Freistaat Thüringen gäbe es ohne die Novemberrevolution nicht“
Historischer Abend in Schleusingen vermittelte viel Wissenswertes
Schleusingen. Die Thüringer Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte vergangenen Dienstag, 15. Januar 2019, nach Schleusingen eingeladen, um den Verlauf der Novemberrevolution vor 100 Jahren aus Thüringer Sicht zu reflektieren.
Gastreferent war Mario Hesselbarth, ein Jenaer Historiker, der sich speziell mit Forschungen zur Arbeiterbewegung im Freistaat befasst.
Ihm zufolge sei die „identitätsstiftende Wirkung der Novemberrevolution geringer gewesen als die der neuzeitlichen Revolutionen in Frankreich, England und Nordamerika“. Nach 1989 gab es kaum noch eine Beschäftigung mit ihr, was Historiker im Jubiläumsjahr auch zum Begriff der „vergessenen Revolution“ greifen ließ. Hesselbarth benutzt freilich lieber den Begriff einer „ungeliebten Revolution“. Denn die Konservativen hielten frühzeitig an der so genannten „Dolchstoßlegende“ fest, derzufolge die berechtigte Revolution ja nicht nur die Abdankung des Kaisers und das Kriegsende, sondern auch die militärische Niederlage im des Kaiserreichs mit massiven Belastungen zur Folge gehabt hätte. Diese Niederlage im durch imperialistische Widersprüche verursachten Weltkrieg war allerdings spätestens im Frühjahr 1918 völlig absehbar. Hesselbarth zufolge beförderte das Festhalten an der Kriegsdoktrin die folgenden revolutionären Entwicklungen vielmehr. In der DDR wiederum wurden die populären Revolutionäre Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg zwar zu Symbolfiguren, andererseits haderte die SED mit der aus ihrer Sicht „unvollendeten“, weil letztlich bürgerlichen Revolution. Die Rolle des Spartakusbundes, der im November 1918 lediglich 2- bis 3000 Aktive zu mobilisieren wusste, wurde dabei überhöht dargestellt. Treibende Kraft seien im Herbst 1918 vielmehr die Strukturen der USPD gewesen. Hesselbarth berief sich unter anderem auf Schilderungen von Sebastian Haffner, der von einer sozialdemokratischen und in der Folge durch die Führung der Mehrheitssozialdemokratie (MSPD) verratenen Revolution schrieb.
Verblüffen konnte Hesselbarth auch mit der Einschätzung, das die Kieler Matrosen, denen allgemein der Auftakt der revolutionären Unruhen von 1918 zugeschrieben wird, quasi Gesetzestreue nachsagte. „Die eigentlichen Meuterer saßen damals in der deutschen Admiralität, denn diese wollten längst ein eigenes Spiel ohne Rücksicht auf die nominelle Regierung spielen, als die Matrosen begannen, Befehle zu verweigern.
Im heutigen Freistaat Thüringen habe die Revolution unterschiedliche Verläufe genommen. Wichtige Ausgangspunkte waren die Kaserne in Weimar und ein Militärflughafen bei Altenburg. In Mühlhausen beschloss der Magistrat, der Forderung der Arbeiter- und Soldatenräte nach Hissen der roten Fahne auf dem Rathaus nachzukommen. Überhaupt sei die Revolution in Thüringen kaum durch den Einsatz von Waffengewalt gekennzeichnet gewesen. Vielmehr hätten die Räte die unbedingte Aufrechterhaltung der Ordnung und Verwaltungsstrukturen beabsichtigt, um ein Machtvakuum zu verhindern. So sollten in einer in Auflösung begriffenen, kriegsgeschwächten Gesellschaft auch Verwahrlosung und Kriminalität zuvor gekommen werden. Bei aller Besonnenheit sollte gleichzeitig Konsequenz demonstriert werden: Auf Plünderungen stand die Todesstrafe. Mehrheitlich waren die Thüringer Arbeiterräte auch nicht für die Einführung eines Rätesystems, sondern für Wahlen zur Nationalversammlung. Auf dem Reichsrätekongress im Dezember 1918 warben Thüringer Teilnehmer deshalb auch für die Nationalversammlung bei gleichzeitiger Sozialisierung der Betriebe, eine Heeresreform und die Demokratisierung der Verwaltung. Diese Ziele blieben durch das Erstarken der Reaktion vielfach unerfüllt. Dabei spielten die zur Niederschlagung der Arbeiterräte eingesetzten Freikorps eine unrühmliche Rolle. Oftmals aus Berufssoldaten und kaisertreuen Eiferern gebildet, machten sie sich schwerer Verbrechen bis hin zu willkürlichen Erschießungen schuldig.
Auf das Konto dieser Kräfte gehen auch die bestialischen Morde an Liebknecht und Luxemburg. Obwohl deren Standpunkte in der Thüringer Arbeiterbewegung eine Minderheitenposition darstellte, führte ihre Ermordung auch hier zu beeindruckenden gemeinsamen Trauerveranstaltungen. Zwei spezifische Thüringer Ergebnisse bleiben Hesselbarth zufolge zu konstatieren: Zum einen zerschlugen die eingesetzten Freikorpskräfte die von den Arbeiter- und Soldatenräten bis dahin aufrecht erhaltenen Sicherheitsstrukturen des öffentlichen Lebens. Zum anderen hätte es die Überwindung der Thüringer Kleinstaaterei und die daraus resultierende Voraussetzung für die Gründung des Landes Thüringen nicht gegeben. In der anschließenden Diskussion bestätigte eine Teilnehmerin dies aus der eigenen Familiengeschichte: So wurde Anfang 1919 ein Mitglied ihrer Familie durch den Arbeiter- und Soldatenrat zum Stadtbaurat ernannt.